Die Freie Goethe-Schule in der Zeit des Nationalsozialismus
In der Zeit vom Januar 1933 bis 1935 war es den Nationalsozialisten gelungen, nahezu alle Bereiche des Lebens in Deutschland ihren Organistionen einzugliedern und unterzuordnen. Viele Vereinigungen wurden aufgelöst und verboten, darunter die Anthroposophische Gesellschaft.
Privatschulen wurde 1936 die Genehmigung entzogen, Kinder in eine erste Klasse aufzunehmen. Beamte hatten ihre Kinder an Staatsschulen umzumelden. Dies traf auch die Waldorfschulen schwer. Berichte der nationalsozialistischen Schulaufsichtsbeamten stellten zumeist zwar befriedigende fachliche Leistungen der Schüler fest, urteilten aber zusammenfassend: die Aufnahme Nationalsozialistischer Weltanschauung und Gesinnung in Unterricht und Verhalten sei bei Lehrern und Schülern der Freien Goethe-Schule ... daß die Freie Goethe-Schule ... vom nationalsozialischen Geiste unberührt geblieben ist. nicht nachzuweisen!
Der Bericht vom
Wandsbeker Schulrat Scheer bleibt einzige offizielle positive Beurteilung über eine Waldorfschule während nationalsozialistischer Regierungszeit.
Nicht mehr auf die Verfassung, sondern auf Hitler lautete die Eidformel nach dem Tode des Reichspräsidenten Hindenburg:
"Ich schwöre: Ich werde dem Führer des Deutschen Reiches und Volkes, Adolf Hitler, treu und gehorsam sein, die Gesetze beachten und meine Amtspflichten gewissenhaft erfüllen, so wahr mir Gott helfe."
Als dann von Lehrern dieser Eid auf Hitler abverlangt wurde, zogen es die Kollegien von fünf der acht Waldorfschulen im Deutschen Reich vor, die Tätigkeit ihrer Schulen zu beenden und sie aufzulösen: Altona (April 1936), Hannover (Juli 1937), Berlin (August 1937). Wenig später schlossen Kassel und Stuttgart ebenfalls.
Voraufgegangen waren langwierige Verhandlungen mit Behörden und der Waldorfschulen untereinander, in denen versucht wurde, die Machtbereiche zwischen dem Stab des Stellvertreters des Führers, Rudolf Hess, dem Reichssicherheitshauptamt, Reinhard Heydrich, dem Reichsführer SS, Heinrich Himmler, gegeneinander auszuspielen, um die Schulen den örtlich zuständigen Behörden zu entziehen und dem Reichs und Preußischen Minister für Erziehung und Volksbildung zugeordnet zu werden. Darin war Frau Dr. Elisabeth Klein im Bemühen, die Schließung der Rudolf Steiner Schule in Dresden so weit wie möglich hinauszuzögern, unermüdlich tätig und wurde von Dr. Friedrich Kübler für die Freie Goethe-Schule dabei energisch unterstützt, oft ohne auf die Gemeinschaft der Waldorfschulen Rücksicht zu nehmen. Letztendlich blieben die Dresdener und die Wandsbeker Schule, die die Hoffnung auf Fortführung der Tätigkeit weiterhin hegten.
Um ihre Schüler weiter unterrichten zu können, kamen die Lehrer der Freien Goethe-Schule der Eidesforderung nach. Und etwa einhundert Schüler aus Altona konnten daraufhin den Unterricht in Wandsbek fortsetzen, wenn dafür ein erforderlicher Antrag der Eltern von der Schulaufsichtsbehörde genehmigt wurde. Es erfolgten nur wenige Ablehnungen und diese auch nur dann, wenn die Kinder zuvor das Ausleseverfahren an den Volksschulen nicht bestanden hatten, mit der Begründung, die Freie Goethe-Schule verfüge über keinen "Hilfszug" (Förderklassen).
Auf Ersuchen von Heß wurde die bereits veranlasste Schließung von Privat- und Waldorfschulen für Dresden und Wandsbek vom Erziehungsministerium mit der Begründung ausgesetzt, dass positive Ergebnisse der Waldorfpädagogik durch die Fortführung von zwei bis drei Versuchsschulen, darunter die Freie Goethe-Schule, für die Pädagogik der Staatlichen Schulen gesichert werden sollen. Dies und die Aufhebung des Aufnahmeverbots wurde der Freien Goethe-Schule von der Schulaufsicht am 5.4.1939 noch widerwillig mitgeteilt. Denn die Einflussnahme durch Heß hatte innerhalb der Hamburger Schulbehörde Unverständnis und Unwillen erregt. Ein Zuwiderhandeln gegen eine Maßnahme von Heß war aber wegen dessen Vertrauensstellung bei Hitler völlig unmöglich.
Der Überfall auf Polen aber lieferte Reichsführer SS Heinrich Himmler den Vorwand zum Eingreifen: er befahl der Gestapo in Hamburg, alle Lehrkräfte der Freien Goethe-Schule wegen Personalmangels kriegsbedingt bei der Ausgabe von Lebensmittelkarten und in anderen Verwaltungsbereichen einzusetzen. Die Schule wurde also weder verboten noch geschlossen! Ihre Tätigkeit wurde durch Wegnahme der Lehrer regelrecht abgewürgt und in die Selbstauflösung getrieben. Die Schüler wurden auf staatliche Schulen verteilt!

weitere Dokumente
Bericht einer Referentin für weibliche Erziehung

Amt Hess: Aufhebung der Aufnahmesperre

Mitteilung der Aufhebung der Aufnahmesperre

Reichsstatthalter Hamburg an Erziehungminister

Gestapo: Einsatz der Lehrer in Verwaltungsaufgaben

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Offiziell beendete die Freie Goethe-Schule ihre Tätigkeit zu Ostern 1940 durch Selbstauflösung.
Hans Pohlmann sah sich zum Verkauf an die Stadt gezwungen, da er Schulgrundstück und Gebäude ohne jede Aussicht auf Wiedereröffnung der Schule nicht länger halten konnte. Manche der Lehrer führten nun Waldorfunterricht unter erheblicher Gefährdung durch Denunziation in privaten Hausbesuchen fort.

Lehrer bei Selbstauflösung der Schule 1940: Otto Altemüller, Hedwig Diestel, Karl Froebe, Fräulein Dr. Barg, Arthur Fuchs, Lucie Kralemann, Elisabeth Kübler, Dr. Friedrich Kübler, Dr. Hildegard Meyer, Heinz Müller, Ilse Prieß-Kändler, Adolf Rolofs, Eberhard Schiller, Dr. Hermann Schüler, Olga Schwandt, Roberto Sobeczko, Martha Somann, Dietrich Steinmann, Senta Uebelacker.

Noch war 1939 nicht bei jedermann Vertrauen in Recht und Staat erschüttert. Ganz im Gegenteil war das Ansehen Hitlers durch Übergehen des Versailler-Vertrages und durch die Gebietsannexionen so gestärkt, dass ein Ende seiner Regierung unabsehbar schien. Dr. Klein und Dr. Kübler konnten nach dem Eingreifen durch Hess auf dauerhafte Unterstützung für ihre Schulen hoffen.
Fragt man heute, wie ein Neubeginn der Waldorfschule nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges hätte geschehen können, wenn Schulbehörde und Geheime Staatspolizei das Fortbestehen der Freien Goethe-Schule nicht hintertrieben hätten?
Als von Hess und Bormann geförderter nationalsozialistischer Versuchsschule wäre wohl nach der Niederwerfung der nationalsozialistischen Regierung einem Neubeginn entschiedener Einwand begegnet!
An der Durchführung der Verfolgung der Juden war Hess aktiv beteiligt. Nach der Besetzung Polens sorgte er für strickte Trennung von Deutschen und Einheimischen durch Einsetzung rassich begründeten Sonderrechtes. Fragen wie Waldorfpädagogik hätten da keinen Platz mehr gehabt.
Und sein Englandflug hätte weiterer Unterstützung das Ende gesetzt.
Von seinem Nachfolger Martin Bormann wäre jede Waldorfschule geschlossen worden, nachden er Hitlers Beurteilungung der Anthroposophen erfahren hatte.

Hitlers Beurteilung der Anthroposophen
aus: Uwe Werner: Anthroposophen in der Zeit des Nationalsozialismus, S. 262 ff:

Letztlich entscheidend wurde jedoch erst die Stellungnahme, die Martin Bormann im Juli 1939 bei Hitler erreichte. Bormann konnte die Tatsache zum Anlass nehmen, dass Almar von Wistinghausen, ein Vertreter der biologisch-dynamischen Wirtschaftsweise, sich über den Adjutanten der Luftwaffe, Hauptmann von Below, an Hitler gewandt hatte, weil seine Aufnahme in den Beurlaubtenstand der Offiziere wegen seiner Mitgliedschaft bei der Anthroposophischen Gesellschaft abgelehnt worden war. Bormann teilte daraufhin die folgende Äußerung Hitlers Anfang Juli 1939 Heydrich folgendermaßen mit:

"Ein Volksgenosse, der wegen Zugehörigkeit zur Anthroposophischen Gesellschaft als Offizier des Beurlaubtenstandes abgelehnt worden war, hatte sich an den Führer gewandt. Der Führer hat daraufhin folgende Entscheidung getroffen:

Mitglieder der Anthroposophischen Gesellschaft sind wie Logen-Angehörge zu behandeln: sie sind nach Meinung des Führers oft noch gefährlicher als Logen-Angehörige, weil sie mit ihren Ideen viel mehr Leute anstecken. Wenn ein Straßenkehrer Mitglied der Anthroposophischen Gesellschaft gewesen sei, dann spiele das auch heute keine Rolle; in der Partei oder in der Wehrmacht wolle der Führer dagegen frühere Mitglieder der Anthroposophischen Gesellschaft nicht haben.
Bei dem Charakter der aufgelösten Theosophischen Gesellschaft kann diese Führer-Entscheidung auch auf die ehemaligen Angehörigen der Theosophischen Gesellschaft angewendet werden.
Ein gleichlautendes Schreiben haben das Oberste Parteigericht und der Herr Reichsschatzminister erhalten.

(NSDAP, Stab des Stellvertreters des Führers an den Reichsführer SS, Chef des Sicherheitshauptamtes: gez: M. Bormann vom 7. Juli 1939. Vgl. auch Bormann an Amt Rosenberg vom 31. Juli 1939. Archiv Bund der Waldorfschulen 7.1.059. Veröffentlicht in A. Wagner, Beiträge, NS-Dokumentation, Bd. 1, Rendsburg, 1991, S. 74.)

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Die Schließung der Freien Goethe-Schule Wandsbek Ostern 1940
aus: Uwe Werner: Anthroposophen in der Zeit des Nationalsozialismus, Oldenbourg Verlag, München 1999, S. 228- 230,
mit freundlicher Genehmigung des Oldenbourg Verlages

Bei der Wandsbeker Schule nahm der Weg zur Schließung einen etwas anderen Verlauf. Zunächst wurde die Schule gar nicht über die am 14. April 1938 entschiedene Aufhebung der Aufnahmesperre informiert. Während die Dresdner Schule Bescheid bekam und wieder Schüler aufnahm, blieb das Wandsbeker Kollegium weiter im Ungewissen. Die Erklärung dafür findet sich in den Akten des Erziehungsministeriums: Die Hamburger Schulverwaltung, unterstützt vom dortigen Reichsstadthalter, verlangte weiter die Schließung der Schule, um deren Räumlichkeiten selbst zu nutzen, und weigerte sich, die Schule von der Aufhebung der Sperre zu unterrichten.
Im Herbst übernahm Ministerialdirektor Holfelder im Reichserziehungsministerium die sachliche Zuständigkeit für diese Fragen. Als er sich im Herbst 1938 in diese Materie neu einarbeitete, entwickelte er durch Elisabeth Klein Interesse für die Waldorfschule. Rust schickte ihn nach Wandsbek. Die dortige Schulverwaltung mußte nachgeben.122 Rust forderte sie auf, "diejenigen Lehrkräfte namhaft zu machen, die nach nationalsozialistischen Grundsätzen für die Weiterbeschäftigung in dieser Schule in Frage kommen."123 Im Frühjahr 1939 endlich wurde die Schule über die Beendigung der Aufnahmesperre informiert.124 Die weiteren Vorgänge, die notgedrungen zur Selbstschließung führen mußten, wurden den Freunden der Schule kurz vor der unvermeidlich gewordenen Schließung im März 1940 mitgeteilt.

"⟨ . . . ⟩ Wie bekannt, erhielt die Leitung der Freien Goethe-Schule am 29. September 1939 einen Brief der Landesunterrichtsbehörde, der uns unter Überschrift "Schließung der Schule" mitteilte, der Herr Reichsminister habe entschieden, dass alle privaten allgemeinbildenden Schulen am 30.9.39 ihre Pforten schließen. Am 7. Oktober 1939 wurde uns von der Schulverwaltung mitgeteilt, daß das Schreiben vom 28.9.39 gegenstandslos geworden sei und hierdurch ausdrücklich zurückgenommen werde. Auf Grund der Einberufung aller Lehrer zum Hilfsdienst im Haupternährungsamt sei die Schule jedoch praktisch geschlossen. Umdeswillen werde die Schulverwaltung die Einschulung der schulpflichtigen Kinder in die öffentlichen Schulen veranlassen. Dieses geschah dann am 13. Oktober 1939. Seitdem haben wir uns die erdenklichste Mühe gegeben, zumal der Hilfsdienst am 24. November endete; die Situation zu klären und eine Entscheidung über das Schicksal der Schule, dessen grundsätzliche Regelung erneut Gegenstand einer Prüfung im Ministerium geworden ist, herbeizuführen. Es ist uns bis heute nicht gelungen⟨. . . ⟩. Wir legen unsere Arbeit nieder in dem Bewußtsein, daß wir alles getan haben, was in unseren Kräften stand, um Ihren Kindern die Schule, und was in ihr gewirkt werden konnte, zu erhalten ⟨. . .⟩.125

Diese Einzelheiten verdeutlichen, wie die Hamburger Schulbehörden durch Schikanen - anders kann man es nicht nennen - die Schule zur Auflösung trieben. Man muß dazu wissen, daß die Vorschriften für den Arbeitsdienst selbstverständlich nicht vorsahen, daß alle Mitarbeiter eines Betriebes eingezogen werden sollten. Letztlich zeigte sich, daß die Aktion vermutlich von Himmler veranlaßt worden war: "Die Einstellung der Betriebes der Freien Goethe-Schule wurde jedoch dadurch herbeigeführt, daß alle Lehrer der Schule auf Veranlassung der Reichsführers SS beim Ernährungsdienst dienstverpflichtet wurden ⟨. . .⟩."126
Der Kriegsausbruch hatte also für die beiden übriggebliebenen Waldorfschulen unterschiedliche Auswirkungen.: Während die Hamburger Behörden die Schule über den Arbeitsdienst ihrer Lehrer beraubte und zur Schließung trieben, vermieden die sächsischen Behörden die Ausarbeitung des fragwürdigen und hinderlichen Konzepts einer Versuchsschule und sicherten damit - ungewollt - der Dresdner Rudolf Steiner Schule bis zur Gestapo-Aktion im Juni 1941 eine relativ ungestörte Arbeit im inneren Schulbetrieb.

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122 Reichsstadthalter Hamburg an Erziehungsminister vom 13. Oktober 193998. BAP R 4901 - 3285. Wandsbek wurde am 1. April 1937 nach Groß Hamburg eingegliedert. Vorher lag die Zuständigkeit in Schleswig (Preußen), vgl. Der Regierungspräsident an Reichserziehungsministerium vom 17. Februar 1937. BAP R 4901 - 3285.
123 Erziehungsminister an Reischsstadthalter Hamburg vom 26. Januar 1939. BAP R 4901 - 3285.
124 Vorstand des Waldorfschulvereins an den Vorstand der Goetheschulvereins vom 5. April 1939. Archiv Bund der Waldorfschulen 3.1,200.
125 Freie Goethe-Schule Wandsbek e. V. an die Mitglieder des Vereins Freie Goetheschule, vom März 1940. Gez. Dr. Kübler als Schulleiter, H. Pohlmann als Vorsitzender des Vereins. Archiv Bund der Waldorfschulen 3.1.233.
126 Bericht der Freien Goethe-Schule Wandsbek an das Reichserziehungsministerium vom 8. März 1940. Archiv Bund der Waldorfschulen 3.1.234. Vgl. dazu auch die Schilderung Maikowskis, der 1939/40 an der Wandsbeker Schule unterrichtete. Maikowski , Schicksalswege auf der Suche nach dem lebendigen Geist, aa. a. O., S. 163 ff.
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